Unternehmen durchlaufen im Verlauf einer Krise verschiedene Stadien, die jeweils spezifische Herausforderungen und Anforderungen mit sich bringen. Diese Krisenstadien können anhand des IDW S6-Standards analysiert und verstanden werden. Lassen Sie uns ein Blick auf die klassischen Krisenstadien werfen und ihre Eigenschaften genauer unter die Lupe nehmen.
Krisenstadien nach dem IDW S6
Kurz vorab: Der IDW S6 wurde vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) entwickelt und ist ein Leitfaden für Sanierungsgutachten zur Beurteilung der Überlebensfähigkeit von Unternehmen in finanzieller Schieflage. Dieser Leitfaden bietet einen standardisierten Ansatz zur Bewertung der Aussichten auf eine erfolgreiche Sanierung und stellt sicher, dass alle relevanten Faktoren umfassend und systematisch berücksichtigt werden. Wenn Sie tiefer in den Aufbau, der Bedeutung und weiteren Spezifika des Rahmenwerks einsteigen möchten, werden Sie hier fündig.
In diesem Artikel geht es jedoch insbesondere um die Krisentypen und deren Bewältigung. Denn ein wesentlicher Teil der Beurteilung der im Rahmen des IDW S6 festzustellenden Fortführungsfähigkeit ist dabei die Einschätzung genau dieser Stadien. Der IDW S6 unterscheidet dabei folgende Varianten:
Stakeholderkrise: Grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten unter Stakeholdern führen zu verzögerten oder unmöglichen Entscheidungen, wichtige Investitionen werden nicht oder zu spät getroffen.
Strategiekrise: Führungsschwäche führt zu unklarer strategischer Ausrichtung und nicht genutzten Wettbewerbsvorteilen.
Produkt- und Absatzkrise: Sinkende Umsatzzahlen entstehen durch vorherige Krisenstadien oder durch Schwächen im Marketing, Vertrieb und/oder in der Qualität.
Erfolgskrise: Sinkende Umsatzzahlen aus der Produkt- und Absatzkrise führen zur Minderung des Eigenkapitals, verschlechtern Ergebnisse und verringern Rücklagen.
Liquiditätskrise: Drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung resultiert aus den vorherigen Krisenstadien, stark eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Unternehmens.
Insolvenz: Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung führt zur Insolvenzreife und zur Insolvenzantragspflicht.
Obwohl kein Unternehmen genau wie das andere ist, ähneln sich die Krisenstadien in den meisten Fällen. Die Reihenfolge muss dabei nicht immer identisch sein, und nicht jedes Unternehmen durchläuft zwangsläufig alle Krisenstadien. Es sind auch überlappende, parallele und einzelne Krisenstadien möglich.
Aus dem echtem Leben: Nokia
Ein anschauliches Beispiel für eine strategische Krise ist das Unternehmen Nokia, das durch die Verzögerung beim Einstieg in den Smartphone-Markt massiv an Marktanteilen verlor. Laut einer Studie von McKinsey verlieren 70% der Unternehmen in einer strategischen Krise mindestens 30% ihres Marktwertes innerhalb von zwei Jahren.
Eskalation der Krise: Druck und Handlungsspielraum
Je weiter eine Krise fortschreitet, desto höher wird der Druck auf das Unternehmen und desto geringer wird der Handlungsspielraum für Verbesserungsmaßnahmen. In den frühen Stadien besteht noch die Möglichkeit, durch strategische Anpassungen und proaktive Maßnahmen die Krise abzuwenden. Doch sobald sich eine Ergebniskrise manifestiert, sind die finanziellen Mittel und die Zeit zur Umsetzung umfassender Änderungen begrenzt. In der Liquiditätskrise sind schnelle, drastische Maßnahmen erforderlich, um die Zahlungsfähigkeit sicherzustellen, was oft mit harten Einschnitten und Restrukturierungen verbunden ist.
Laut einer Analyse von PwC geraten 60% der Unternehmen, die in die Ergebniskrise geraten, innerhalb von einem Jahr in eine Liquiditätskrise, wenn keine wirksamen Maßnahmen ergriffen werden. Dies zeigt, wie schnell sich die Lage verschlechtern kann, wenn nicht frühzeitig gehandelt wird.
Zu späte Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen
Ein häufiges Problem in Krisensituationen ist die verspätete Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen. Oftmals wird die Notwendigkeit für Veränderung erst erkannt, wenn die Krise bereits fortgeschritten ist und der Spielraum für effektive Maßnahmen stark eingeschränkt ist. Dieses Phänomen lässt sich auf verschiedene Faktoren zurückführen:
- Unterschätzung der Krise: Die Schwere und das Tempo der Krise werden häufig unterschätzt.
- Mangel an Ressourcen: Finanzielle und personelle Ressourcen sind oft bereits stark belastet.
- Widerstand gegen Veränderung: Internen Widerständen und bürokratischen Hürden verhindern schnelle Entscheidungen.
Die im Rahmen der #SHIFTHAPPENS-Studienreihe 2020 erhobene Statistik bezüglich des tatsächlichen Beginns der Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen spricht jedoch für sich: Es wird regelmäßig zu spät angegangen. Die Befragten berichten, dass rund 70 % der Transformationen erst in der Erfolgs- oder sogar Liquiditätskrise initiiert werden. Bei einer späten Krisenreaktion mit hohem Handlungsdruck ist der Erfolg einer Restrukturierung zunehmend
unwahrscheinlich. Da wundert es nicht, dass laut den befragten Experten im Schnitt lediglich 36% der Transformationen erfolgreich sind.
Die drei Phasen der Krisenbewältigung
Im Rahmen der Krisenbewältigung werden grob drei Phasen unterschieden.
Phasen der Restrukturierung
Phase 1: Problemerkennung/Analyse, einige Tage bis Wochen: In dieser Phase werden der Status quo und das eigentliche Problem erfasst – häufig jedoch nur ein oder mehrere Symptome (z.B. schwindende Umsätze oder Liquidität, mangelndes Wachstum).
Phase 2: Konzept, einige Wochen bis Monate: Im Rahmen der Konzepterstellung werden die Symptome unter die Lupe genommen und Ursachen sowie Stoßrichtungen für ihre Behebung entwickelt. Häufig fällt in dieser Phase das erste Mal das Zauberwort „Maßnahmen“, denn diese sollen ergriffen werden, um die Transformation erfolgreich zu gestalten. Je nach Brisanz der Situation und Kreis der Stakeholder haben diese Konzepte mal ein loseres, mal ein durch Standards geregeltes Format (z.B. IDW S6).
Phase 3 Umsetzung, einige Monate bis Jahre: In dieser Phase wird das analysierte und erkannte Problem durch die Maßnahmen behoben. Die gängigen Fragen – nämlich wer macht wann was und was kostet es und wird es bringen – werden in einem zyklischen Prozess regelmäßig neu gestellt und beantwortet, um die Konzeptziele zu erreichen. Je agiler das Umfeld, desto mehr werden auch die Projektziele notwendigerweise zum „Moving Target“.
Während sich die Phasen bedingen, haben sie doch unterschiedliche Relevanz. Erfolgsentscheidend ist in einer Restrukturierung am Ende des Tages hauptsächlich die Umsetzungsphase und deren Management. Dem stimmen übrigens auch drei Viertel der im Rahmen der #SHIFTHAPPENS-Studienreihe befragen Experten zu. Doch leider sind sich die Experten ebenfalls einig, dass diese Phase – die obendrein am längsten dauert – auch die mit Abstand schwierigste ist.
Natürlich ist diese Formulierung überspitzt und stark vereinfachend. Doch es lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass das Verhältnis von Anforderung an die Konzepterstellung und letztendlichem Beitrag zum Projekterfolg zumindest nicht ausgewogen ist. Gleichwohl ist die Konzeptphase ungemein wichtig, denn sie dient abseits rechtlicher Absicherung gewisser Stakeholder, auch dem gemeinsamen, dokumentierten Situationsverständnis und letztlich der Bestimmung von Handlungsgebieten. Ohne Letzteres sind Transformationen fast immer zum Scheitern verurteilt. Veränderungen hin zu kürzeren und schneller erstellten Konzepten, gepaart mit einem überlappenden und verzahnten Umsetzungsstart tragen diesem Spannungsfeld zwischen Konzept und Umsetzungsphase zuletzt Rechnung.
Warum die Umsetzungsphase so schwierig fällt - und die Rolle des Umsetzungsmanagement
Nahezu unabhängig von den angestrebten operativen Maßnahmen zur Krisenbewältigung (mit Ausnahme von rein rechtlich/finanzseitig geprägten Stoßrichtungen wie dem Schuldenschnitt oder anderer finanzieller Restrukturierungsmaßnahmen) zeigt sich, dass immer wieder ähnliche Probleme und Hindernisse die so wichtige Umsetzung zum Scheitern bringen.
Die im Rahmen der #SHIFTHAPPENS-Studienreihe befragen Experten sehen das ähnlich. So verweisen die Antwortraten der knapp 500 Teilnehmer bezüglich unklarer Ziele (31 %), unklarer Priorisierung (26 %) und fehlendem Involvement der Geschäftsführung (25 %) schlicht auf mangelndes Management. Wenn die Organisationskultur zudem Schwierigkeiten mit Veränderungen hat – immerhin erfährt knapp ein Viertel der Befragten Widerstand gegen Change (23 %) – kommen Problemherde zusammen, die nicht selten das Aus für die Bemühungen bedeuten.
Doch während Widerstand gegen Change eher eine Kulturfrage in Unternehmen ist und daher nicht von heute auf morgen verändert werden kann, lassen sich unklare Ziele, unklare Priorisierung und mangelndes Involvement der Führungsebene binnen kürzester Zeit adressieren. Dass dennoch ein beträchtlicher Anteil der Befragten indirekt das mangelnde Management anspricht, lässt darauf schließen, dass die Umsetzung von Restrukturierungen à la longue unterschätzt wird. Die Praxis zeigt dabei, dass dies umso mehr zu gelten scheint, wenn das Management von mehreren transformatorischen Projekten und Maßnahmen nicht zum Alltag von Unternehmen gehört und erstmalig unternommen wird.
Die Rolle eines PMO bei der Krisenbewältigung
Ein Project Management Office (PMO) kann eine zentrale Rolle bei der Bewältigung von Krisen spielen, insbesondere bei der Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen. Ein PMO bietet strukturierte und koordinierte Unterstützung, um sicherzustellen, dass Sanierungsmaßnahmen effektiv und effizient umgesetzt werden. Zu den wesentlichen Funktionen eines PMO in der Krisenbewältigung gehören:
- Koordination und Überwachung: Sicherstellung der Einhaltung von Zeitplänen und Maßnahmeneffekten.
- Risikomanagement: Identifikation und Management von Risiken, die den Sanierungsprozess gefährden könnten.
- Kommunikation: Förderung der Transparenz und des Informationsflusses zwischen den verschiedenen Stakeholdern.
- Unterhaltung des Reportingzyklus: Quasireligiöse Unterhaltung eines regelmäßigen Maßnahmenreportings bezüglich dem Stand der Umsetzung an alle relevanten Stakeholder.
Aus dem echten Leben: General Motors
Ein Beispiel für die erfolgreiche Implementierung eines PMO in einer Krisensituation ist das Automobilunternehmen General Motors (GM). In den Jahren nach der Finanzkrise 2008 führte GM ein PMO ein, um die Restrukturierung des Unternehmens zu überwachen. Dies half GM, die Effizienz zu steigern, die Produktionskosten zu senken und neue Marktstrategien zu implementieren, was letztlich zur Stabilisierung und Erholung des Unternehmens beitrug.
Sie möchten ein PMO aufsetzen?
Oftmals haben notleidende Unternehmen das zentrale Organ des PMO nicht. Die Etablierung wird dabei oftmals zur Maßnahme - und Soft Covenant - selbst. Wie Sie ein PMO schlank und schnell aufsetzen können, zeigt Ihnen auch diese eigens für diesen Zweck geschaffene Ressource:
Softwareunterstützung in der Umsetzungsphase und die Rolle von Excel/Spreadsheets
Restrukturierungen geschehen oft unter immensem Zeit- und Erfolgsdruck. Viele Unternehmen nutzen Excel für dsa Planen und Tracking von Sanierungsmaßnahmen, was zu Fehlern und Vertrauensverlust bei Gläubigern führen kann. Die Probleme, die im Rahmen der Nutzung von Excel entstehen können, sind so zahlreich und gravierend, dass sie einen eigenen Artikel füllen könnten - und das tun sie auch hier. Hier kommen schlanke PPM- und PMO-Softwarelösungen wie Falcon ins Spiel. Softwarelösungen die im Rahmen von Restrukturierungen zum Einsatz kommen, sollten dabei ein paar wesentliche Aspekte mindestens liefern:
Härtegrade: Stellen Sie sicher, dass Sie jederzeit zeigen können, in welcher Phase sich Maßnahmen befinden und welche bereits Ergebniswirksam sind.
Statusberichte: Regelmäßige Aktualisierungen des Projekt- und Finanzstatus sorgen für Klarheit und Kommunikation zwischen den Beteiligten.
Ampelsysteme: Visuelle Indikatoren für den Projektzustand und -fortschritt bieten auf einen Blick Einblicke in kritische Bereiche. Banken schielen dabei meist auf klassische Ampeln.
Effekte & KPIs: Umfassendes Maßnahmen-Effektemodul, welche das Planen, tracken und abgrenzbare Messen von beliebig vielen Maßnahmen und subsequenten Effekten in Real-Time ermöglicht.
One-Klick-PowerPoint-Berichte: Die Erstellung professioneller, umfassender Berichte in gängigen Formaten mit einem einzigen Mausklick. Das schafft Vertrauen und nimmt massiv administrativen Aufwand.
Extrem schnelles Setup & Import-Möglichkeiten: In Restrukturierungssituationen muss das Setup samt Onboarding in Stunden oder Tagen messbar sein - den es bleibt oftmals wenig Zeit. Lange Einführungsphasen sind nicht möglich.
Integrationen & Schnittstellen: Wesentliche Schnittstellen zu BI-Systemen wir Power BI und der ERP/Planungswelt (z.B. Lucanet) sollten gegeben sein.
Sie setzen noch auf Excel und überlegen stattdessen den Einsatz einer Software?
Dann haben wir die perfekte Ressource für Sie! Unsere Ressource "Von Excel zur PPM-Softwarelösung" hilft bei einem reibungslosen Wechsel. Laden Sie die Ressource kostenlos herunter:
Fazit
Die Bewältigung einer Unternehmenskrise erfordert ein frühzeitiges und entschlossenes Handeln. Der IDW S6 bietet einen wertvollen Rahmen zur Analyse der Krisenstadien und zur Planung von Sanierungsmaßnahmen. Ein effektives PMO kann entscheidend dazu beitragen, dass notwendige Maßnahmen rechtzeitig und erfolgreich umgesetzt werden. Unternehmen sollten sich der Dynamik einer Krise bewusst sein und die Bedeutung eines proaktiven und strukturierten Ansatzes zur Krisenbewältigung erkennen.
Letztendlich hängt der Erfolg der Krisenbewältigung davon ab, wie früh und effektiv die Maßnahmen ergriffen werden. Unternehmen, die frühzeitig auf die ersten Anzeichen einer Krise reagieren und ein starkes PMO einrichten, haben eine deutlich bessere Chance, gestärkt aus der Krise hervorzugehen.