"Eine gewisse Selektion wird jetzt zwangsläufig stattfinden" - Im Gespräch mit Dr. Tilmann Quensell

Katharina Sartisson

Wie krisenfest ist der Mittelstand? Dr. Tilmann Quensell (CEO, OTTO DÖRNER) spricht mit uns über die Angst vor dem Unbekannten, Überlebensstrategien und den Willen des Menschen zur Veränderung.

Die Otto Dörner Gruppe ist ein privates Familienunternehmen der Abfallwirtschaft. Das tradierte und bereits 1925 gegründete Unternehmen, bietet umfassende Services rund um Entsorgung, Kies & Sand, Abbruch und Altlastensanierung an. Mit etwas mehr als 1.200 Mitarbeitern gehört die Gruppe heute zu den führenden Unternehmen der Branche in ganz Europa.

OTTO DÖRNER ist für ein mittelständisches Unternehmen breit aufgestellt. Wie haben Sie den Verlauf der Krise wahrgenommen?

Diese Krise kam unvorhergesehen, relativ schnell und heftig. Sie hat uns in der Geschäftsführung vor Aufgaben gestellt, auf die wir überhaupt nicht vorbereitet waren. Wir mussten auf einmal schnell bewerten, was das für unsere Geschäftstätigkeit und für unsere Mitarbeiter bedeutet. Wir mussten dafür sorgen, dass wir weiterhin handlungsfähig bleiben, falls unsere Mitarbeiter von Corona betroffen gewesen wären. Maßnahmen wie Homeoffice kamen ins Spiel oder auch Richtlinien zum Schutz für die LKW-Fahrer in den Sozialräumen. Das war alles eine sehr spannende Erfahrung.

Was hat Ihrem Unternehmen dabei geholfen diese neuen Antworten zu finden?

Das beste Tool ist immer noch der gesunde Menschenverstand. Natürlich haben wir uns dann auch entsprechend informiert und beobachtet, wie sich unser Geschäftsverlauf ändert, wobei ein Hilfsmittel wie Falcon dabei außerordentlich hilfreich ist. Eine gute und schnelle Analyse über Veränderungen ist sehr zielführend. Nur so kann man rechtzeitig reagieren, um handlungsfähig zu bleiben.
Darüber hinaus ist es gerade in Krisensituationen wichtig, einen Überblick zu bekommen, wer an welcher Stelle gut mitarbeitet und wo notwendige Transformationsprozesse ins Stocken geraten.

Gab es Service- oder Geschäftsbereiche in Ihrem Unternehmen, auf die sich der Verlauf besonders ausgewirkt hat?

Bei uns vor allem in der Abfallentsorgung, da einige, große Abfallerzeuger, wie z. B. die Gastronomie oder Hotelbetriebe, komplett ausgefallen sind. Die Mengen, die wir normalerweise für diese Kunden entsorgt hätten, sind somit weggebrochen, was wiederum für ein niedrigeres Geschäftsvolumen gesorgt hat.

Nach den zurückliegenden Monaten stehen viele mittelständische Unternehmen vor einem ungeplanten Finanzierungsbedarf. Wie sollten die richtigen Konzepte und strategischen Maßnahmen aussehen, um überschuldungsbedingte Insolvenzen in den Folgejahren abzuwenden?

Das ist sehr schwierig zu beantworten, da es viele unterschiedliche Geschäftsmodelle gibt. Selbst bei uns ist das so. In einigen großen Geschäftsbereichen leben wir von den Tätigkeiten auf dem Bau. In Österreich waren auf einmal alle Baustellen geschlossen. Wenn das hier in Deutschland passiert wäre, hätten wir nicht ausweichen können, und ein kompletter Bereich wäre weggebrochen. In einem Unternehmen ist alles aufeinander abgestimmt: Personalstärke, das Equipment, die Mietflächen - im Grunde ist es alles ein System, das in sich schlüssig ist. Wenn das auf einmal gestört wird, kann das Unternehmen nur hoffen, dass es genug Substanz hat. Wenn das Vermögen dann nicht ausreicht, um solche Zeiten zu überbrücken, kann es passieren, dass das Unternehmen dies nicht übersteht. Darauf kann rein strategisch kaum Einfluss genommen werden.

Wie wirken sich die krisenbedingten Unsicherheiten auf Innovationsbereitschaft und Innovationstempo des Mittelstands aus?

Kurzfristig kann man nichts machen. Wenn man jetzt aber merkt, dass es mittel- und langfristig Veränderungen geben muss, da bestimmte Dinge durch äußere Einflüsse nicht mehr funktionieren, sollte man natürlich das Geschäftsmodell überdenken. Dazu gehören dann auch Maßnahmen wie Homeoffice, der Einsatz von Videokonferenzen oder generelle Anpassungen im Gesamtbetrieb. Das ist allerdings nicht immer möglich. Wenn die Baukonjunktur auf einmal deutlich abnehmen würde, wäre das ein großes Problem für uns. Wir müssten uns dann neu aufstellen und in neue oder verwandte Geschäftsfelder investieren. Im Moment werden aus meiner Sicht Investitionsbereitschaft und -tempo eher gebremst.

Welche Rolle spielt die Angst dabei?

Die Angst ist bei allen Menschen da. Keiner von uns wusste, wie lang die Krise andauert, wie stark es wird und wie sie uns trifft. Wir wussten lange Zeit nicht, ob die Baustellen in Deutschland stillgelegt werden. Wenn das der Fall gewesen wäre, dann wären Teile unseres Geschäftsmodells von einem auf den anderen Tag zum Erliegen gekommen. Dann könnten wir auch nicht einfach sagen: “Wir nehmen den Bagger, die Raupe oder den LKW und machen damit etwas anderes.”

Welche Rolle spielt der Mensch und der Wille sich zu verändern?

Das Problem ist, dass der Mensch in der Regel viel zu lange wartet und viel zu spät reagiert. Die Angst vor dem Neuen und der Veränderung ist die Angst vor dem Unbekannten. Es wird gefordert, aus der Komfortzone bzw. aus dem Gewohnten auszutreten und etwas Neues auszuprobieren. Das betrifft Unternehmen genauso wie den Menschen selbst. Ein Mensch, der stark übergewichtig ist, kommt häufig erst dann aus seinen Gewohnheiten heraus, wenn er wirklich krank wird. Bei Firmen ist dies oft genauso, da sie erst anfangen sich zu verändern, wenn es wirklich weh tut. Leider ist es dann meistens zu spät. Es hilft nicht zu hoffen, dass die anstrengende Transformation nicht nötig ist, da der Markt sich wieder dem Unternehmen anpasst. Die Angst vor der Veränderung führt häufig dazu, dass die Veränderung viel zu spät vorgenommen wird. Nicht umsonst heißt es: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Wie werden Unternehmen moderner, krisenfester und bleiben dabei trotzdem menschlich?

Corona hat bereits dazu geführt, dass viele Unternehmen und Führungskräfte auf die Digitalisierung setzen. Das betrifft sowohl die Kommunikation, als auch operative Abläufe und Prozesse. Sollte Corona bestimmte Prozesse, die menschlich geführt werden, besonders hart treffen, müssen wir natürlich in Erwägung ziehen, gewisse Automatisierungsprozesse einzuführen, um mögliche menschliche Ausfälle zu vermeiden. Dabei menschlich zu bleiben und zu hinterfragen, wie man als Unternehmen eine solche Veränderung herbeiführt, ohne dass Mitarbeiter entlassen werden, ist die größte Herausforderung. In dieser Situation hilft es nur, mit den Mitarbeitern zu kommunizieren und sie dazu zu motivieren sich mit zu verändern. Neue Weiterbildungsmöglichkeiten im IT-Bereich sind ein wichtiger Schritt, und an dieser Stelle kann man den Menschen als Unternehmen natürlich helfen.

Wie äußert sich der vorherrschende Digitalisierungsdruck auf das Mittelstandsgeschehen?

In unserer Branche sind wir noch sehr hinterher, was die Digitalisierung angeht, wobei ich behaupten würde, dass wir bei OTTO DÖRNER schon sehr weit vorne agieren. Mit Blick auf andere Branchen ist sicherlich noch Nachholbedarf da. Der Weg Richtung Digitalisierung wird aber weitergegangen, weil auch immer mehr jüngere Menschen in Führungspositionen kommen. Der Bauleiter von morgen wird den LKW sicher nicht mehr mit dem Telefon bestellen, sondern per App. Dem Trend müssen wir uns stellen und, wenn wir dies nicht schaffen, dann wird der Markt uns überleben.

Welche Ressourcen helfen dabei dem Digitalisierungsdruck standzuhalten?

Es ist wichtig, in der Führungsetage Fachkräfte zu haben, die Lust darauf und keine Angst davor haben, sich damit auseinanderzusetzen. Letzteres ist gerade bei den älteren Führungskräften der Fall. Die Angst resultiert aus dem Unverständnis. Das liegt natürlich auch an der Entwicklung, die sie nicht mitgemacht haben, als sie jung waren. Man muss dafür sorgen, dass der IT-Bereich in mittelständischen Unternehmen, die ja sehr operativ ausgerichtet sind, die nötige Bedeutung bekommt, die ihm heutzutage zusteht. Das betrifft insbesondere wichtige Bereiche wie Kommunikation und Automatisierung.

Welche Chancen sehen Sie für den Mittelstand?

Eine gewisse Selektion wird jetzt zwangsläufig stattfinden. Schauen wir uns die Automobilindustrie an, auf der ein Großteil unseres Wohlstandes beruht: Hat das Auto noch Bedeutung oder das intelligente System, welches Autos leitfähig macht? Da wird sich jetzt viel tun. Corona hat die Veränderung, die in den Märkten passiert, wahrscheinlich beschleunigt. Gerade durch die Beschleunigung werden die Betriebe, die nicht gut geführt sind und kein gutes Marktmodell haben, noch schneller aus dem Markt ausscheiden, als es ohne Corona der Fall gewesen wäre. Die Krise sollte als Chance gesehen werden, aber auch als brutaler Beschleuniger, der die Frage stellt, ob die westliche Welt mit ihrer durch Wohlstand geprägten, etwas arroganten Haltung mit dem Rest der Welt (vor allem Asien) mithalten kann. Die “Bewahrermentalität” wird nicht hilfreich sein.

Was würden Sie anderen Mittelständlern auf den Weg geben?

Das Verhalten der Konsumenten hat sich durch Corona natürlich verändert. Mittelständler sollten versuchen, sich mit dieser neuen Welt intensiv auseinanderzusetzen. Es gibt noch Spielraum, diesen Transformationsprozess gut hinzubekommen und uns gut aufzustellen. Problem wird sein, in den digitalen Bereichen die richtigen Fachkräfte zu finden. Mittelständische Unternehmen sind nicht immer sexy für IT-ler. Deswegen müssen wir uns neue Wege überlegen, wie wir diese Experten in den Mittelstand bekommen. Wir brauchen sie, um die nötige Transformation vornehmen zu können. Für die Veränderung müssen richtige Impulse eingebracht werden. Ich darf nicht an meinem alten Geschäftsmodell festkleben und hoffen, dass sich die Welt zu meinem Gunsten verändert. Dazu brauche ich junge Leute, die man zu Wort kommen lassen muss, ohne ihnen zu erzählen, dass früher alles besser war. Das ist, meiner Meinung nach, das größte Handicap des Mittelstands.

Sind Menschen immer noch die wesentlichen Transformationstreiber?

Eine Firma besteht aus Menschen. Die einzigen, die die Transformation einer Firma herbeiführen können, sind ja die Menschen, die in dieser Firma arbeiten. Wenn alle sagen, wir machen so weiter wie bisher, passiert auch nichts. Jetzt stellen sich immer noch die Fragen: Wie stark sind wir? Sind wir auch selber bereit, uns zu verändern? Wenn Veränderung notwendig ist, braucht es von außen neue Ideen mit neuen Menschen, die in das Team hineingemischt werden. Diesen Nachwuchskräften übertrage ich dann Verantwortung und gebe ihnen Entscheidungsgewalt, damit sie diese Veränderung vorantreiben können. Die Menschen, die sonst da sind, werden immer versuchen, an ihre alten Erfolge anzuknüpfen, die inzwischen vielleicht nichts mehr wert sind. Die werden einen nicht in die Zukunft tragen, wenn jetzt neue Dinge gefragt sind.

Woraus können wir Mut schöpfen?

Das Neugierige und das Offensein für Veränderungen macht uns aus. Das, was wir als Marge in den Unternehmen einkalkulieren, sind Wagnis und Gewinn. Das Thema Wagnis müssen wir wieder verstärkt angehen durch neues Ausprobieren. Und Wagnis wird mit Unternehmensgewinn belohnt. Wir haben jetzt die große Notwendigkeit, Wagnis einzugehen, uns zu öffnen, neugierig zu sein - und das können wir. Wir haben es immer gekonnt. Die Corona-Krise zwingt uns jetzt einfach stärker dazu.


Dr. Tilmann Quensell ist seit 1991 Geschäftsführer in der Holding der Unternehmensgruppe OTTO DÖRNER und verantwortet die Bereiche Erdbau, Umweltschutz, Entsorgung, Kies und Sand. OTTO DÖRNER gehört mit über 1.100 Mitarbeitern zu den führenden Unternehmen der deutschen Entsorgungsbranche.

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