"Je früher man anfängt, desto größer sind die Chancen, dass die Sanierung erfolgreich ist." - Im Gespräch mit Stefan Wechsung

Claudia Westenhoff

Was ist das StaRUG und was macht das neue Gesetz? Stefan Wechsung (Partner, comes Unternehmensberatung) spricht mit uns über Krisenursprung, Handlungsoptionen im Krisenmodus und Sanierung.

comes Unternehmensberatung ist eine unabhängige Unternehmensberatung, die auf die zentralen Fragen des Mittelstands spezialisiert ist. Zu den Kernbereichen des Unternehmens gehört unter anderem die Sanierung und Effizienzsteigerung von Mandanten.

Wenn Du die Zeit heute vergleichst mit dem, was die letzte große Krise vor gut 10 Jahren ausgemacht hat, wo liegt der große Unterschied?

Das “Jetzt” ist in der Tat etwas anderes. Bei den vergangenen Krisen lag der tatsächliche Krisenursprung zu 95% beim Unternehmen selbst. Meist hatte das Management die Situation zu spät erkannt oder auch falsch reagiert. Corona ist dagegen in der Tat eine Besonderheit. Unternehmen geraten plötzlich in die Krise, ohne dass sie vorher irgendwie reagieren konnten. Einmal im Krisenmodus sind auch die Handlungsoptionen heute oft stark beschränkt. Lufthansa als bestes Beispiel: Hier hat sich ein ganzes Geschäftsmodell – zumindest temporär - verändert und unzählige Menschen und Karrieren sind betroffen. Was macht ein Pilot heutzutage, wenn er seinen Job verliert? Es ist das erste Mal, dass wir derart exogene Faktoren sehen, auf die man als Unternehmen nur schwer ad hoc reagieren kann, wenn von einem Tag auf den anderen der komplette Markt wegbricht.

Zum passenden Zeitpunkt kommt nun das StaRUG. Was will dieses Gesetz erreichen, was ändert es?

Das Gesetz liegt thematisch zwischen der ursprünglichen, außergerichtlichen Sanierung und dem anderen Extrem, dem Insolvenzverfahren. Es gibt keine gerichtliche Sanierung, sondern eine außergerichtliche, aber dafür gewisse Mechanismen aus der Insolvenzordnung, die angewendet werden und letztendlich auch gegen den Willen anderer Gläubiger eine Sanierung vorantreiben können. Spannend ist die Frage, für welche Situation das StaRUG gedacht ist.

Und welche ist das?

Nehmen wir das Beispiel der Uhrzeit: Die meisten Unternehmen, die in einer Krise sind, denken, es ist halb zwölf, vielleicht viertel vor zwölf. Wenn wir als Berater hinzukommen, stellen wir dann fest: es ist fünf vor zwölf. Die Handlungsoptionen nehmen dann stark ab. Das StaRUG – um in der Analogie zu bleiben - ist dafür gedacht, dass es eher halb zwölf oder sogar elf Uhr ist. Es ist für eine frühzeitige Sanierung gedacht. Die sehen wir heute leider noch nicht allzu häufig.

Also geht es um Unternehmen, die in der Zukunft potenziell in eine existenzbedrohende Situation kommen könnten?

Genau. Es kommt auf die nächsten 24 Monate an. Ein denkbar langer Zeitraum, in dem keine Zahlungsunfähigkeit eintreten darf. Das ist eine wichtige Eingangsvoraussetzung. Unternehmen müssen einen Zweijahresplan vor Augen haben.

Welche Punkte findest Du als Berater am interessantesten in diesem Gesetz?

Dass es zu einer Sensibilisierung auf Seiten der Geschäftsführung führen wird. Hier wird die sprichwörtliche Haftungskeule geschwungen. Unternehmen werden in die Pflicht genommen, sich noch stärker mit der Liquiditätsplanung zu beschäftigen, als es jetzt schon muss. Daneben wird eine Sanierung im Zweifel auch attraktiver, da man das Stigma der Insolvenz vermeiden kann. So können Unternehmen frühzeitig überlegen, was eigentlich ihre Handlungsoptionen wären. Das ist ein immenser Vorteil: Je früher man anfängt, desto mehr Optionen hat man und desto größer sind die Chancen, dass die Sanierung auch nachhaltig erfolgreich ist.

Du glaubst also, dass das Gesetz tatsächlich Unternehmen früher in Richtung Selbstreflektion, Veränderung und Beratung bewegt?

Der Wunsch ist zumindest da, aufgrund des Haftungsthemas, das im Raum steht. Daneben darf aber ein großer Nachteil des StaRUGs nicht vergessen werden: Im Rahmen einer Sanierung wird es regelmäßig auch schmerzhafte Kapazitätsthemen geben, die Personalanpassungen erforderlich machen. Aber eben diese und die Restrukturierung im Personalbereich sind vom StaRUG ausgeschlossen.

Eine spannende Sache ist die Möglichkeit zur Vertragsbeendigung. Da gibt es Fälle, an die man dabei sofort denkt, z.B. Mietverträge in Retail-Unternehmen…

…und Leasing- oder auch Kreditverträge. Das sind alles langfristige Verträge, bei denen man argumentieren könnte: Diese Last erdrückt das Unternehmen und macht es erforderlich, dass die Bedingungen zum Wohle aller Beteiligten neu verhandelt oder gar ganz beendet werden müssen. Wichtig ist, dass gewisse Faktoren gegeben sein müssen. Es ist bei weitem nicht so, dass hier Zahlungen einfach von einem auf den anderen Tag eingestellt werden können. Hier und da wird man das StaRUG Instrumentarium in Verhandlungen, vielleicht auch nur „auf der Tonspur“ erwähnen, und es zum Aufbau einer Drohkulisse nutzen. Dabei sollte man dann aber auch bereit sein, den möglichen Weg in den Restrukturierungsrahmen zu gehen. Ob und in welcher Ausgestaltung diese Möglichkeit der Vertragsbeendigung kommt, ist noch nicht final sicher, da es regen Widerstand gab. Die zweite und dritte Lesung des SanInsFoG (StaRUG ist hier ein Bestandteil) erfolgt am 17.12.2021 im Bundestag. Danach wird klar sein, ob das Gesetz wie geplant und vor allem bereits zum 1. Januar 2021 kommt.

Als kleiner Rundumschlag: Wie sehen die Auswirkungen für die einzelnen Stakeholder aus?

Das ist schwer zu pauschalisieren. Der StaRUG wird attraktiv für Insolvenzverwalterkanzleien sein, um auch weiter bei den großen Fällen dabei zu sein. Wenn man als Insolvenzverwalter einmal an „Bord“ ist, dann ist das eine Möglichkeit, das Geschäftsfeld auszubauen. Ich glaube für die Lieferanten und Co. wird sich wenig ändern, weil diese nach wie vor eine gewisse Macht gegenüber dem Unternehmen haben und beide Seiten Interesse an einer weitere Lieferbeziehung haben. Am spannendsten wird es für Finanzierer oder auch die Dauerschuldverhältnisse im Allgemeinen, wenn es darum geht Verträge zu beenden und substanziell zu verändern. Für Geschäftsführer wird es ebenfalls schwierig. Wir haben intern heiß diskutiert, ob das Amt des Geschäftsführers noch unattraktiver werden wird. Warum soll jemand bei einem kleinen Mittelständler Fremdgeschäftsführer werden, wenn da große Haftungstatbestände mit der Gefahr der persönlichen Haftung aufkommen? Am Ende werden die wahren Auswirkungen von Fall zu Fall variieren. Final kann man das erst nach einiger Zeit bewerten.

Und wie viel Zeit wird vergehen, bis wir wirklich den Stab über dem StaRUG brechen können?

Letztendlich ist das ESUG eine gute vergleichbare Größe. Das wurde anfangs sehr kritisch gesehen. Unter anderem weil es hieß, dass es nur für größere Unternehmen geeignet sei. Beim ESUG hat man nach fünf Jahren eine Zwischenbilanz gezogen. Beim StaRUG wird man nach drei bis fünf Jahren eine ziehen müssen und schauen, ob das der richtige Schritt war.

Drei bis fünf Jahre ist eine lange Zeit…

Ja, aber es wird - wenn das Gesetz kommt - sehr viel Unsicherheit geben. Viele werden sich darin ausprobieren müssen. Da kann die Stimmung vielleicht auch schon nach 1-2 Jahren eine andere sein.

…und dann wird man es nochmal adjustieren müssen.

Ganz genau!


Stefan Wechsung ist seit 2018 Partner der comes Unternehmensberatung. Gestartet in Hamburg und mittlerweile mit Standorten in, Bremen, Oldenburg Hannover und Berlin begleitet Comes mit über 40 Mitarbeitern mittelständische Kunden in Transformations-, Optimierungs- und Krisensituationen.

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